Ganztagsschulen: Zwischenbilanz eines Erfolgsmodells

Ganztagsschulplätze sind begehrt – und knapp. Denn die Nachfrage übersteigt das Angebot derzeit noch deutlich. Wie die 2. JAKO-O-Bildungsstudie belegt, wünschen sich rund 70 % aller befragten Eltern für ihr Kind ein ganztägiges Schulangebot. In den östlichen Bundesländern sind es gar 89 %. Doch die Realität zeigt: Nur 26 % der befragten Eltern bzw. Kinder besuchen aktuell eine Ganztagsschule. Ist das Erfolgsmodell ins Stocken gekommen? Oder ist es an der Zeit für einige Neujustierungen?

 

Rasanter Anstieg der Ganztagsquote

Ein Blick zurück zeigt: Die Verbreitung von Ganztagsschulen hat in den letzten Jahrzehnten enorm an Fahrt aufgenommen. Während in den 1970er-Jahren nur 0,4 % aller Schülerinnen und Schüler in der alten Bundesrepublik ganztägig beschult wurden, waren es im Jahr 2002/2003 bereits 10 % in der Primarstufe und Sekundarstufe I. Zurückzuführen ist diese Entwicklung unter anderem auf das „Investitionsprogramm Zukunft Bildung und Betreuung“ (IZBB), mit dem der Bund von 2003 bis 2007 den Ganztags-Ausbau aktiv förderte. Seither hat sich diese Zahl mehr als verdreifacht: 2011/2012 nahmen bereits rund 31 % der bundesdeutschen Schülerinnen und Schüler am Ganztagsbetrieb teil. Eine Aufgliederung dieser Quote nach Schularten zeigt: Am weitesten verbreitet ist das Ganztagsmodell in Gesamtschulen. Hier betrug die Ganztagsquote im genannten Zeitraum 74 %, gefolgt von Förderschulen (46 %), Hauptschulen (37 %) und Orientierungsstufen (36 %). Deutlich weniger Kinder (27 %) besuchen ganztägige Grundschulen, Ganztagsgymnasien (25 %), freie Waldorfschulen (22 %) oder Realschulen (16 %).

 

Und wie bewährt sich das Modell?

Doch Quantität sollte in punkto Ganztagsschule keinesfalls über Qualität gestellt werden. So beschäftigt Bildungsforscher vor allem auch die Frage, wie sich der Ganztagsbetrieb in der Praxis bewährt und wie die Schülerinnen und Schüler mit diesem Modell zurechtkommen. Hierfür entscheidend ist die Unterteilung in die zwei Motoren für den Ausbau von Ganztagsschulen: Zum einen soll das Ganztagsmodell Erziehungsberechtigten das Vereinbaren von Erziehung und Erwerbstätigkeit erleichtern, zum anderen hat der Ganztagsbetrieb das Ziel, Schülerinnen und Schüler aus bildungsfernen Schichten eine bessere Teilhabe am Bildungsbetrieb zu ermöglichen. Wie insbesondere die „Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen“ (StEG) zeigt, stellen Ganztagsschulen eine entscheidende Erleichterung für die Vereinbarung von Familie und Erwerbstätigkeit dar. Dies gilt insbesondere für Familien mit Kindern im Alter von sechs bis elf Jahren.

Die Frage nach der besseren Förderung bildungsferner Schichten durch den Ganztagsbetrieb ist hingegen weitaus schwieriger zu beantworten. So konnte bislang nicht eindeutig belegt werden, dass Ganztagsbeschulung die Chancenungleichheit in punkto Bildung reduziert. Wenn überhaupt, lässt sich, so ein weiteres Fazit der JAKO-O-Bildungsstudie, durch den Ganztagsbetrieb ein Zugewinn an kognitiver Förderung bildungsbenachteiligter Schülerinnen und Schüler feststellen. Eine signifikante Verbesserung schulischer Leistungen wurde indes nicht belegt.

 

Wohin soll die weitere Entwicklung führen?

Trotz ambivalenter Resultate zur Effektivität der ganztägigen Beschulung wird das Modell Ganztag jedoch weithin akzeptiert und für ausbaufähig empfunden. Ein wesentliches Argument hierfür ist die Tatsache, dass der Ganztagsbetrieb es Lehrkräften ermöglicht, einzelne Schülerinnen oder Schüler von anderen Seiten kennenzulernen, nämlich beispielsweise hinsichtlich ihres Sozial- und Freizeitverhaltens oder ihres Engagements. Der Einblick in derlei Kompetenzen eröffnet sich Lehrkräften im Unterricht nur eingeschränkt. Auch im Hinblick auf die wachsende Bedeutung der Inklusion im Schulbetrieb erscheint der weitere Ausbau von Ganztagsangeboten sinnvoll. Denn insbesondere Sozialpädagogen sind sich darin einig, dass Inklusion im Ganztagsbetrieb am besten funktioniert.

Nicht zuletzt sollen vor allem auch die Schülerinnen und Schüler von einer sich verändernden Schulkultur profitieren – nämlich indem sich Schule langsam aber stetig von dem Bild des „Lernkerkers“ loslöst und zu einem positiv besetzten Ort wird, der mehr ist als nur Schule. Nach derzeitiger Einschätzung zahlreicher Schul- und Bildungsforscher ist am ehesten die gebundene Form der Ganztagsschule, also die obligatorische Teilnahme aller Schülerinnen und Schüler am Ganztagsangebot, dazu geeignet, die angepeilten Ziele zu ermöglichen.

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