Ob in Veränderungsprozessen, bei Konflikten im Kollegium oder in Zeiten außergewöhnlich hoher Belastung: Coaching bietet eine gute Möglichkeit, sich zu orientieren und Kräfte zu bündeln. Dennoch steckt die Begleitung durch eine*n Coach für schulische Fach- und Führungskräfte noch in den Anfängen. Wie profitieren Lehrkräfte und Schulleitungen von einem Coaching? Und wie ist der Ablauf? Interview mit Dr. Sabine Marsch, ehemalige Schulleiterin und Studienrätin, jetzt zertifizierte systemische Coach.
LehrCare: „Übergänge in den Blick nehmen“ heißt es auf Ihrer Website. Sie helfen Schulleitungen, Lehrkräften und Einzelpersonen dabei, Veränderungen zu gestalten. Im doch sehr regulierten Schulbetrieb ist dies sicher eine besondere Herausforderung. Wo liegen die Handlungsspielräume für Coaches bei der Arbeit mit schulischen Fachkräften?
SM: Ein Handlungsspielraum besteht grundsätzlich in der Veränderung der Haltung. Statt darauf zu schauen, was alles nicht möglich ist, braucht es den Übergang hin zu dem, was alles innerhalb eines bestimmen Rahmens möglich ist. Ressourcenorientierung statt Defizitorientierung. Oft sind Klient*innen noch stark im alten Zustand verhaftet und limitieren sich selbst beim Übergang hin zum Neuen. Oder aber sie sind gedanklich schon voll und ganz „im Neuen“, ohne den alten Zustand bewusst hinter sich gelassen zu haben. Ich helfe Schulleiter*innen im Coaching dabei, diese Übergänge klar und empathisch zu steuern, immer mit dem Blick darauf, was innerhalb der gegebenen Strukturen möglich ist, um positive Entwicklungen voranzutreiben.
LC: Können Sie eine typische Situation nennen, die Schulleitungen oder Lehrkräfte zu einem Coaching führt?
SM: Die Anlässe sind äußerst vielfältig. Schulleiter*innen beispielsweise leiten quasi ein kleines oder mittleres Unternehmen. Deswegen haben sie auch ganz ähnliche Herausforderungen wie Führungskräfte in der freien Wirtschaft: Entwicklung von Führungskompetenzen, Klarheit über die eigene Führungsrolle, effiziente Arbeitsorganisation, Umgang mit Überlastung etc. Aber auch äußere Anlässe bringen oft einen Anstoß: Die Einführung von digitalen Tools zum Beispiel, bei denen es darum geht, möglichst alle mitzunehmen und die Widerstände im Kollegium aufzulösen. Oder die notwendigen Veränderungen in der Unterrichts- und Prüfungskultur, die durch ChatGPT aktuell anstehen.
LC: Wie kann ich mir so eine Coachingsitzung denn vorstellen? Verläuft das Coaching allein über Gespräche oder bedienen Sie sich auch anderer Methoden? Können Sie ein Beispiel nennen?
SM: Sicher ist das Gespräch die zentrale Methode – vor allem ganz zu Anfang, wenn es um die Auftragsklärung geht. Ich frage zuerst: Was führt Sie hierher? Was möchten Sie gerne verändern? Was wünschen Sie sich stattdessen? Ein Schulleiter sagt dann vielleicht, dass seine Kolleg*innen mit jeder noch so kleinen Frage zu ihm kommen und von ihm eine Antwort erwarten. Wir erarbeiten dann den gewünschten Zielzustand, in dem das Kollegium eigenverantwortlicher handelt und er wieder mehr Zeit für andere Aufgaben hat. Erst dann folgen gezielte Interventionen, wie etwa Rollenspiele zur Perspektivübernahme oder kreative Methoden zur Ursachenforschung und Lösungsfindung. Immer geht es darum, die vorhandenen Ressourcen zu finden und dadurch neue Handlungskompetenzen zu integrieren. Abschließend planen wir konkrete Schritte zur Umsetzung im Schulalltag. Vielleicht hat sich herausgestellt, dass den Lehrkräften gar nicht klar ist, welche Entscheidungen sie alleine treffen dürfen und welche sie auf jeden Fall vorher absprechen müssen. Ein nächster Schritt wäre dann für den Schulleiter, zuerst selbst Klarheit über seine eigene Führungsrolle zu erlangen und darauf aufbauend neue Prozesse und Verantwortlichkeiten zu definieren. An dieser Stelle biete ich neben dem Coaching auch Beratung zu Themen wie wertschätzende Kommunikation, alternative Führungsmodelle, Prozessoptimierung oder Einführung von digitalen Tools an.
LC: Über welchen Zeitraum erstreckt sich ein Coaching? Lassen sich hierzu überhaupt allgemeine Aussagen treffen?
SM: Entscheidende Anstöße kann ich als Coach recht schnell geben, denn wer sich an einen Coach wendet, bringt ja meist den Wunsch nach Veränderung schon mit und ist außerdem freiwillig da. Mitunter ist bereits nach der ersten Sitzung ein entscheidender Punkt erreicht, der den Klienten oder die Klientin zum Handeln angeregt hat. In den meisten Fällen hat das Coaching aber nach vier bis fünf Sitzungen erste Erfolge. Manche Klient*innen machen dann erst einmal eine Pause und arbeiten an der Integration der nächsten Schritte in ihrem Arbeitsalltag. Andere schätzen die verbindliche Begleitung und kommen regelmäßig über einen längeren Zeitraum. Generell ist es so: Ein Coach hat die Verantwortung für den Prozess, nicht für die Umsetzung. Wie schnell mein Gegenüber den roten Faden zur Handlung findet und aufnimmt, hängt von ihm oder ihr selbst ab. Als Coach nehme ich den Klient*innen aber keine Entscheidungen ab.
LC: Gibt es Inhalte aus dem Coaching, die Ihrer Meinung nach Eingang in den Schulbetrieb finden sollten – und auch könnten?
SM: Auf jeden Fall! Oft fällt ja zunächst ins Auge, was alles fehlt. Nicht nur bei Schulleiter*innen und Lehrkräften geht es darum, die Ressourcen in den Blick zu nehmen. Auch bei den Schüler*innen darf es nicht länger darum gehen, herauszufinden, was sie alles noch nicht können, sondern darum, wo ihre Stärken sind und wie diese ausgebaut werden können. Nehmen wir einmal das Beispiel Lehrerkonferenzen oder Dienstberatungen. Für alle Beteiligten sind diese Veranstaltungen kräftezehrend und zeitintensiv. Warum nicht einmal eine Konferenz mit einem „Check-in“ beginnen, bei dem jede*r erzählt, was ihr oder ihm in der letzten Woche Positives widerfahren ist. Bei großen Runden ist dies z.B. auch in kleinen Murmelgruppen möglich, aus denen nur eine Gemeinsamkeit im Plenum geteilt wird. So kann jede*r erstmal ankommen, sich mitteilen und gehört werden. Sofort entsteht so eine freundlichere Atmosphäre, die offen ist für Beteiligung. Das lässt sich genauso auch im Unterricht einsetzen, um gleich zu Beginn eine positive Lernatmosphäre zu schaffen.
LC: Sie setzen mit Ihren weiteren Angeboten auf Austausch und Möglichkeiten, sich auch über die einzelne Schule hinaus zu vernetzen?
SM: Ja, absolut. Gerade schulische Führungskräfte empfinden Austausch als sehr wohltuend und bereichernd. Konkret plane ich daher für die Zukunft den Aufbau einer schul- und klient*innenübergreifenden Plattform, die diesen Austausch ermöglicht. Ich denke hierbei im ersten Schritt an eine Online-Community. Ein Traum wären Vor-Ort-Retreats und Netzwerktreffen für Schulleitungen, bei denen neben Innehalten und Reflexion auch das Wohlfühlen im Mittelpunkt steht.
LC: Ein Coaching war Ihrer Meinung nach erfolgreich, wenn…
SM: … wenn der Anstoß für Veränderung fruchtbar war und die positiven Veränderungen letztlich auf dem Weg von Schulleiter*innen über Lehrkräfte bei den Schülerinnen und Schülern ankommen. Das ist mein ganz persönlicher Antrieb für meine Arbeit.
*****************
Weitere Informationen: www.sabinemarsch.de