Wie bleibt man als Lehrkraft handlungsfähig, wenn im Klassenraum gefühlt alles gleichzeitig passiert: Lernniveaus driften auseinander, Störungen bremsen den Ablauf und soziale Konflikte binden die Aufmerksamkeit? Und welche Strategien helfen wirklich im Alltag, nicht nur in der Theorie?
Das Deutsche Schulbarometer, eine jährliche Lehrkräfte-Befragung, belegt in seiner letzten Ausgabe (2025): Die Heterogenität und das Verhalten von Schüler*innen ist aktuell eine der größten Herausforderungen im Schulalltag. Unter Classroom Management fallen all jene Maßnahmen, mit denen Lehrkräfte eine strukturierte und lernförderliche Atmosphäre im Klassenraum schaffen. Sie reichen von einfachen organisatorischen Vereinbarungen bis hin zu komplexen Themen wie wertschätzende Kommunikation oder Beziehungsarbeit. Folgende Maßnahmen haben sich in der Praxis bewährt:
1. Klare Regeln und Erwartungen: Von Anfang an gemeinsam mit der Klasse festgelegte Regeln geben Orientierung und Sicherheit. Wichtig dabei: wenige, dafür aber klar und positiv formulierte Regeln.
Beispiel: Eine Klasse der Unterstufe formuliert zum Schuljahresbeginn zehn Klassenregeln (z.B. „Wir hören einander zu“ oder „Wir helfen uns gegenseitig“) und hängt diese für alle sichtbar im Klassenraum auf.
2. Routinen etablieren: Wiederkehrende Abläufe, etwa beim Start in die Stunde oder beim Materialeinsatz, reduzieren Unruhe und schaffen wertvolle Lernzeit. Routinen fördern Eigenverantwortung und Struktur.
Beispiel: In einer Grundschule ertönt gegen Ende der Stunde eine vorher abgesprochene ruhige Musik als „Aufräummusik“.
3. Positive Beziehungspflege: Lehrkräfte, die Wertschätzung und Empathie zeigen, erleben nachweislich weniger Störungen und mehr Engagement. Ein kurzer persönlicher Austausch oder Humor kann Wunder wirken.
Beispiel: Jeden Montag nimmt sich eine Klassenlehrerin fünf Minuten Zeit, um mit den Schüler*innen über ihr Wochenende, besondere Ereignisse oder andere aktuell relevante Themen zu plaudern. Das legt den Grundstein für ein vertrauensvolles, positives Miteinander.
4. Aktive Präsenz und Körpersprache: Lehrkräfte, die sich bewusst im Raum bewegen, Blickkontakt halten und Körpersprache gezielt einsetzen, wirken souverän und vorbeugend gegen Störungen.
Beispiel: Ein Lehrer bewegt sich bewusst durch den Klassenraum, anstatt frontal vor der Tafel zu stehen. Wenn Unruhe aufkommt, nähert er sich ruhig der betroffenen Gruppe, ohne zu sprechen. Die bloße Nähe reicht oft, um Aufmerksamkeit zurückzugewinnen.
5. Klarer Unterrichtsrahmen: Ein strukturierter Unterrichtsverlauf mit erkennbaren Phasen (Einstieg, Erarbeitung, Sicherung) hilft Lernenden, sich zu orientieren und motiviert zu bleiben.
Beispiel: In einer 9. Klasse hängt ein Wochenplan mit dem Ablauf der Stunde: Einstieg – Erarbeitung – Sicherung – Reflexion. Schüler*innen wissen so jederzeit, wo sie im Lernprozess stehen, und können ihre Arbeit besser selbst steuern.
6. Lernförderliche Sitzordnung: Die Anordnung der Tische beeinflusst das Miteinander. Je nach Ziel – Gruppenarbeit, Konzentration oder Austausch – kann sie flexibel angepasst werden.
Beispiel: Für Gruppenprojekte werden Tische regelmäßig in Inseln gestellt, bei Tests in Reihen.
7. Prävention statt Reaktion: Frühzeitig handeln, bevor Konflikte eskalieren: kleine Signale, ein Blick, ein Positionswechsel oder stille Pause wirken oft stärker als Strafen.
Beispiel: Ein Lehrer bemerkt leise Gespräche während einer Stillarbeitsphase. Statt laut zu ermahnen, hält er kurz Blickkontakt und legt die Hand leicht auf den Tisch der Schüler*innen. Diese nonverbale Geste genügt – die Klasse bleibt ruhig.
8. Selbstreflexion und Feedback: Lehrkräfte, die ihr eigenes Verhalten reflektieren oder sich kollegiales Feedback holen, verbessern ihre Wirkung spürbar. Hilfreich sind auch Hospitationen und kollegiale Fallberatung.
Beispiel: Nach einer anstrengenden Stunde bittet eine Lehrerin ihre Klasse um kurzes Daumen-Feedback: „Wie gut hat das heute mit der Gruppenarbeit funktioniert?“ Später reflektiert sie das Ergebnis im Lehrerteam und erhält Tipps, wie sie die Struktur beim nächsten Mal verbessern kann.
9. Verantwortung abgeben: Schüler*innen in Routinen, Regelüberwachung oder Feedback-Prozesse einzubinden, stärkt ihre Eigenverantwortung und das Gemeinschaftsgefühl.
Beispiel: In einer 7. Klasse übernehmen Schüler*innen reihum kleine Verantwortlichkeiten: Eine Person moderiert den Einstieg („Was haben wir letzte Stunde gelernt?“), eine andere achtet auf die Zeit, eine dritte sammelt am Ende Rückmeldungen. Dies stärkt die Selbstorganisation der Lernenden und vermittelt das Gefühl, dass Unterricht ein gemeinsames Projekt ist.
10. Emotionsregulation und Achtsamkeit: Gelassenheit ist trainierbar. Programme zur Resilienz und Achtsamkeit zeigen, dass emotional stabile Lehrkräfte ihr Classroom Management langfristig besser gestalten können, da sie Beziehungen und Struktur nachhaltiger aufrechterhalten.
Beispiel: Um Eskalationen in Diskussionen zu vermeiden, führt ein Lehrer einer 8. Klasse eine Regel ein: Wird ein*e Schüler*in laut oder respektlos, hebt er ruhig die Hand und sagt: „Stopp, wir fangen neu an.“ Danach darf die Person ihren Satz noch einmal in ruhigem Ton wiederholen.